Rachel Dolezal ist weiß. Mariah Carey wird als Schwarz gesehen. Sofia Richie nicht. Was macht einen Schwarzen Menschen wirklich Schwarz?
Social Media kann manchmal dazu beitragen, dass Fragen im Kopf auftauchen, die sich davor noch nie gestellt haben. Ein Beitrag in einer Natural Hair Gruppe machte mich auf ein Thema aufmerksam, das uns in Zukunft immer öfter begleiten wird. Schwarze Frauen stritten darüber, ob Sofia Richie, die jüngere, leibliche Tochter des Sängers Lionel Richie, Schwarz sei. Sie ist die Tochter eines Schwarzen Mannes – warum also nicht. Als der Blick dann über ihr Foto wandert, sieht man eine junge Frau mit weißer Haut, blonden, glatten Haaren und einer ziemlich europäischen Gesichtsstruktur. Einzig ihre etwas breitere Nase und ihre leicht gebräunte Haut – die auch von der Sonne stammen könnte – erinnern an eine Schwarze junge Frau. Menschen, die etwas geübter darin sind, Features afrikanischstämmiger Menschen zu erkennen, können die Verbindung zu einem Mann wie Lionel Richie erahnen. Vor allen anderen steht eine weiße Frau.
HERKUNFT ODER LOOK
Ist Richie als direkte Nachfahrin eines Schwarzen Mannes und einer weißen Frau nun Schwarz? Hätte sie mehr Melanin in ihrer Haut, würde diese Frage nie gestellt. Von den meisten würde sie als Schwarz bezeichnet werden, obwohl sie auch einen weißen Elternteil hat. Nun, Schwarz mit großem S ist ein politischer Begriff, er bezieht sich nicht auf die Farbe unserer Haut, sondern auf unsere gemeinsamen Erlebnisse. Welche Erlebnisse teilt Sofia mit Schwarzen Menschen? Rassismus erlebt sie nicht, oder nur sehr selten und zwar von Menschen, die ihren Vater kennen. Auf offener Straße wird sie in diese Situation jedoch kaum kommen. Definiert sich unser Schwarz sein aber nur durch Rassismus, Ausgrenzung und die zugegeben gravierenden Folgen – oder gibt es auch andere Faktoren? Sind Familiengefühl, Traditionen, Kultur, die Bildung, die gemeinsame Geschichte und Sozialisation so irrelevant, oder beziehen wir sie in unser Schwarzsein ein? Weil das würde Richie wohl doch zu einer Schwarzen Frau machen – einfach mit weniger Melanin.
In Interviews bekennt sie sich zu ihrer Blackness und thematisiert, dass sie damit zu kämpfen hat, Rassismus von einer anderen Seite zu erleben. Rassistische Aussagen werden in ihrer Gegenwart frei getätigt, da sie nicht als offensichtliches Opfer erkennbar ist. Sie spricht darüber und ist sich ihrer white-passing Privilege, also des Privilegs als weiße Person durchzugehen, bewusst. Trotzdem erkennt sie die facebook-Gemeinde, in der ich mich befinde, nicht als eine der ihren an. Sie hat zu viele Privilegien – zu hell, zu glattes Haar, zu massentauglich.
AUSNAHMEN BESTÄTIGEN DIE REGEL
Es gibt noch weitere Frauen, die Richie in vielen Aspekten ähnelt – Mariah Carey. Befragt man die online-Gruppe zu ihr, wird sie als Schwarze Frau akzeptiert. Man ist stolz auf sie und auf ihre Erfolge, obwohl sie oft kritisiert wird. Sie erweckt ein „Wir“-Gefühl, wenn sie einen Award gewinnt, eine wichtige Aussage tätigt oder eine Trennung durchmacht. Mariah hat ebenfalls helle Haut, eine ziemlich weiße Gesichtsstruktur und trägt ihre Haare ebenfalls blond und relativ glatt. Sie ist ebenfalls die Tochter einer weißen Mutter und eines Schwarzen Vaters. Ihre Ausgangssituation unterscheidet sich kaum von der ihrer jüngeren Showbiz-Kollegin. Der größte Unterschied ist jedoch ein Faktor, mit dem sich Schwarze gerne schmücken – eine gute, kräftige Stimme. Mariah hat diese Stimme. Christina Aguilera hätte diese jedoch auch und wird nicht als eine der ihren angesehen. Für viele ist Schwarzsein also weder abhängig von Hautfarbe, noch von Erfahrungen, sondern einfach eine Einstufung nach Bewunderung.
Immer wieder tauchen Gerüchte auf, Beethoven wäre Schwarz gewesen, genauso wie Queen Charlotte von England. Diese Persönlichkeiten hatten laut Abbildern helle Haut, waren oberflächlich weiß – nur ein Tropfen „Schwarzes Blut“ würde sie allerdings, in den Augen vieler, zu Schwarzen Ikonen mutieren lassen. Beide würden als Schwarz geclaimed werden. Frei nach dem Motto: Mag ich dich, bist du so Schwarz, wie ich. Mag ich dich nicht, bist du mein Gegenteil – weiß.
FAKE-BLACK DOES CRACK
Jedoch gibt es auch sehr gute Beispiele von Menschen, die als Kind zweier weißer Eltern geboren wurden und sich Schwarz fühlen – berühmtestes Beispiel Rachel Dolezal. Ihr gelang es, sich Jahre als Schwarze Frau auszugeben, ohne aufzufallen. Dolezal legte sich krause Haare zu, ließ sich bräunen und trug traditionelle afrikanischen Kleidung. Sie verkleidete sich und wurde sogar zur hochrangigen Spokesperson einer afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation. Als sie nach Jahren doch aufflog, rechtfertigte sie sich damit, dass sie sich Schwarz fühle. Sie fühle Rassismus, den Schmerz der Sklaverei und Rassentrennung. Die Medien berichteten über eine Frau mit psychischer Störung oder einer kaltherzigen Betrügerin. Diese Analysen wurden weitläufig geteilt. Dies weckt leise Erinnerungen an den Fall Binjamin Wilkomirski. Dieser Mann gab sich über Jahre als Holocaustopfer aus, erzählte seine erfundene Geschichte über die Ermordung seiner Familie und kam damit ebenfalls lange durch, bis er als falsches Opfer enttarnt wurde.
Dolezal setzte einen drauf und nahm ein paar Monate nach ihrer unfreiwilligen Demaskierung einen afrikanischen Namen an. Sie fühlt sich als Opfer, das im falschen Körper geboren wurde. Dabei tauchen auch immer wieder Stimmen auf, die meinen, dass dies möglich sei und man sie ihrer eigebildeten „Blackness“ nicht berauben sollte. Mehrheitlich gilt sie allerdings als Witzfigur. Vergleichen kann man Dolezal und Sofia Richie nicht mal ansatzweise, weshalb man letztere nicht einfach ganz ausschließen kann.
DÜRFEN WIR URTEILEN?
Genetik beschert uns viele Dinge, auch verschiedene Stufen an Melanin. Ein Kind kann dunkler, heller, oder gleich wie ein bestimmter Elternteil aussehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baby weißer aussieht, als angenommen, ist gegeben. Wäre es fair diesem Kind das Schwarzsein komplett abzusprechen oder soll es sich nur auf die afrikanischen Wurzeln beziehen dürfen? Der Text kann keine Antworten darauf geben, ob Sofia Richie und Menschen wie sie, Schwarz oder weiß sind. Was er allerdings soll, einen Anstoß dazu geben, tiefer darüber nachzudenken, in sich zu gehen und sich zu fragen, wie man mit Fremd- und Eigenbezeichnungen umgehen kann.
Dieser Text erschien in der fresh – Black Austrian Lifestyle Ausgabe #SHADES