The Sound of kritische Musik – 1986 Edition

Das Bild Österreichs im Ausland bröckelt, die Opferlüge funktioniert nicht mehr und inmitten dieses Skandals steht ein Bundespräsident. Die Affäre Waldheim rüttelt 1986 die österreichische Gesellschaft ordentlich auf. Mittendrin und auch dabei – die heimische Musikbranche.

Die verhängnisvolle Affäre beginnt 1986 als Kurt Waldheim sich im Wahlkampf befindet und kurz darauf zum Präsidenten der Republik Österreich gewählt wird. Doch als ihn seine Vergangenheit einholt und ihm eine Beteiligung am Holocaust vorgeworfen wird, steht die heimische und die internationale Presse nicht mehr still. Die Gesellschaft stellt ihr Staatsoberhaupt in Frage – es hagelt Kritik, aber auch Unterstützung. Gemeinhin wird dieser Skandal mit dem Beginn der Aufarbeitung des Nationalsozialismus gleichgesetzt – denn bis zu diesem Zeitpunkt inszeniert sich das Land als erstes Opfer. Während Thomas Bernhards „Heldenplatz“ oder Alfred Hrdlickas vier Meter hohes Holzpferd zu den bekannteren Protest-Werken österreichischer Künstler zählen, ist die Verarbeitung des Eklats im Musikbusiness weniger beachtet.

Kurti’s Klagen

Nicht jeder Künstler schafft es so provokant zu sein, dass sogar der amtierende Bundespräsident mit einem Rechtsverfahren droht. Im Jahr 1988 entwickelt sich ein Song der EAV zu so einem großen Aufreger, dass Waldheim sie wegen Rufschädigung anklagen will. Die Öffentlichkeit reagiert auf dieses Vorhaben mit heftiger Kritik und der Präsident lässt die Anschuldigung fallen. Die Spaß-Formation um Klaus Eberhartinger und Thomas Spitzer zeigt, dass sie auch mit kritischen Texten genau ins Mark der Gesellschaft treffen können.

No Kangaroos in Austria

Angesprochen auf seine Zeit im Ausland, spricht Falco 1989 davon, seit dem Skandal um den Bundespräsidenten nicht mehr mit Verwechslungen mit Australien kämpfen zu müssen. Denn mittlerweile wird er nur noch gefragt, ob er diesen besagten, skandalösen Präsidenten ebenfalls gewählt hat.
Mit den Zeilen

Es beginnt in einem Wald / Alle Rechte sind bezahlt / Und es endet doch daheim / Meine Hände sind so kalt / Denn die Zeit / Die ging ins Land / Meine Seele ist so rein

im Track „The Sound of Music“ thematisiert auch er die Geschehnisse. Rückwirkend wird dies als eindeutige Kritik verstanden.

Wer rettet das Außenbild?

Um vor Europa nicht ganz dumm dazustehen, entscheidet sich das Land 1986, also in der Hochphase des Skandals dazu, eine jüdische Sängerin zum Eurovision Song Contest zu schicken. Die Wahl fällt auf Timna Brauer. Der Historiker Dean Vuletic, der sich auf den ESC spezialisiert, dazu in einer Diskussionsrunde, „Österreich ist in Sachen Eurovision auch dafür bekannt, immer wenn es in internationale Kritik gerät, Musiker zu senden, die Toleranz ausstrahlen. Die Rounder Girls inmitten der Sanktionen gegen Schwarz/Blau 2010 sind nur ein Beispiel dafür.“

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http://tvthek.orf.at/program/Archiv/7648449/1986-Timna-Brauer-mit-Die-Zeit-ist-einsam/9137696/1986-Timna-Brauer-mit-Die-Zeit-ist-einsam/9137697

Sanktionen der Kunstschaffenden

Während Österreich mit seinem neuen Status als Mittäter kämpft und die Aufarbeitung in vollem Gange ist, bekommen immer mehr internationale Künstler Wind von dem fragwürdigen Bundespräsidenten. Einzelne Künstler, wie der US-Sänger Terence Trent D’Arby, sagen ihre geplanten Konzerte in Österreich ab, da sie durch die Steuerabgaben die Regierung nicht unterstützen wollen. Spätestens mit Lou Reed meldet sich dann auch einer dieser Acts zu Wort und thematisiert in „Good Evening, Mr. Waldheim“ die politische Situation der Alpenrepublik im Titel.

Die Hymne der Verteidigung

Was macht man, wenn man merkt, dass sich die eigenen Landsleute im Ausland nur mehr schämen? Man schreibt eine Hymne, auf die man stolz ist. Bei Erscheinen 1989 noch als zu patriotisch kritisiert, entwickelte sich Rainhard Fendrichs „I am from Austria“ zur inoffiziellen Hymne des Landes. Wegen dieser Heimatverbundenheit spielt es die Freiheitliche Partei Österreichs gerne bei Events, bis Fendrich selbst dies untersagt. Als der Song jedoch vergangenes Jahr im Wahlfinale die Hauptrolle in einem Alexander Van der Bellen-Video spielt, wird der Kontext von vielen Österreichern hinterfragt. Die wahre Intention dieses Hits ist es, wie Fendrich später in Interviews selbst verrät, sich in Zeiten des Zweifelns stolz auf sein Land und die Leute fühlen zu können – obwohl man die Ratten und die Dummheit, die zum Himmel schreit, genau kennt.

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