Ausgezeichnet mit dem Österreichischen Zeitschriftenpreis 2016 in der Kategorie „Lifestyle, Gesundheit und Soziale Verantwortung“
Verspottet und ausgegrenzt – wer als Kind einer Österreicherin und eines afroamerikanischen Soldaten zwischen 1945 und 1956 zur Welt kam, hatte einen schweren Start ins Leben. Die vergessenen Geschichten dieser sogenannten Besatzungskinder treten jetzt durch eine Sonderausstellung im Museum für Volkskunde ans Tageslicht. Sie offenbaren Ungerechtigkeiten der Behörden, Identitätsfragen und enorme Stärke im Umgang mit der Nachkriegsgesellschaft.
Sie nannten sie „Schokoladys“, „Amischickse“ oder „Dollarflitscherl“ – Frauen, die sich mit afroamerikanischen Soldaten einließen, hatten in der Nachkriegszeit einiges zu erdulden: Beschimpfungen, Ausgrenzung und auch physische Angriffe gehörten zum Alltag. Ihre Kinder waren ein sichtbares Zeichen für den Untergang des NS-Regimes.

Foto: Sammlung Lost in Administration
Österreich 1945: Britische, US-amerikanische, französische und sowjetische Truppen marschierten im Land ein und beendeten die nationalsozialistische Herrschaft. Österreich wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Salzburg, der westliche Teil Oberösterreichs und ein kleiner Teil Wiens gehörten zur amerikanischen Zone. Gut fünf Prozent der US-Soldaten waren Afroamerikaner, die sich aufgrund der noch bestehenden Rassentrennung in den Vereinigten Staaten auch von ihresgleichen unterscheiden mussten. Die österreichische Bevölkerung post Naziregime konnte sich erst nur schwer mit den Fremden anfreunden, doch durch die ersten Kontakte fielen bei vielen die Hemmungen schnell. Kein Wunder also, dass sich immer wieder Beziehungen zwischen ihnen und Österreicherinnen ergaben. Dadurch waren die gewonnenen Sympathien in der Bevölkerung allerdings schnell wieder verspielt.
Unerwünschte Beziehungen
Geschätzte 30.000 Kinder, die aus Beziehungen alliierter Soldaten und österreichischer Frauen entstanden, wurden von 1945 bis 1956 geboren. Die genaue Anzahl der Kinder mit afroamerikanischen Vätern ist mangelnder Dokumente wegen nicht genau festzustellen. Laut den Historikern und Kuratoren der Ausstellung „SchwarzÖsterrreich“, Philipp Rohrbach und Niko Wahl, beläuft sich die Zahl etwa auf 300 bis 400.Die Beziehungen zu afroamerikanischen GIs wurden von der Bevölkerung und oft auch von den eigenen Familienmitgliedern nicht einfach hingenommen. Auch von Seiten des amerikanischen Militärs gab es Gegenwind, sie versuchten diese Liaison um jeden Preis zu unterbinden.
Unabhängig von den genauen Umständen der Zeugung, kamen die meisten Kinder unehelich zur Welt und wuchsen ohne ihren leiblichen Vater auf. Unterhaltszahlungen erhielten die Mütter in den meisten Fällen keine, da Angehörige der alliierten Streitkräfte nicht der österreichischen Gerichtsbarkeit unterlagen. In vielen Fällen kam es zu sehr schwierigen finanziellen Situationen. Die Mütter mussten Hilfe vom Staat beziehen. Durch den Status als unehelich ging die Vormundschaft vieler Kinder an die Jungendämter über. Fürsorgerinnen spielten über weite Strecken eine wichtige Rolle im Leben der Kinder. Die Dokumente aus dieser Zeit zeichnen laut Philipp Rohrbach und Niko Wahl, vom Forschungsprojekt „Lost in Administration“, ein zwiespältiges Bild der Wohltäterinnen: Einerseits versuchten sie wohl alles, um zu helfen. Andererseits mussten Frauen die Erfahrung machen, dass Jugendamtsmitarbeiter/innen die Mütter Schwarzer „Besatzungskinder“ dazu drängten, ihre Töchter und Söhne zur Adoption freizugeben. Oftmals war weniger die Sorge um die schlechte finanzielle Situation der Familie, sondern vielmehr ein rassistisches Weltbild für diese Vorschläge ausschlaggebend.

Foto: Sammlung Lost in Administration
Alleine in die Staaten
Trotz des Drucks und des gesellschaftlichen Ausschlusses gab die Mehrheit der Frauen ihre Kinder nicht zur Adoption frei. Laut einer sozialpsychologischen Studie der Internationalen Vereinigung für Jugendhilfe (IVJH) von 1954 blieben fast 70 Prozent der Schwarzen Kinder bei ihren Müttern, 15 Prozent kamen bei Familienmitgliedern unter und ein kleiner Teil kam in temporäre Pflege oder landete in Heimen. Jene Kinder, die allerdings zur Adoption freigegeben wurden, landeten oft im Heimatland ihrer Väter. Internationale Adoptionen waren kein Einzelfall: Zwischen Europa und den USA entstand in den 1950ern gewissermaßen ein illegaler Markt für Baby- und Kleinkinder, der dem Budgetproblem der österreichischen Einrichtungen sehr entgegen kam.
Gegen Ende der Besatzungszeit standen viele Ämter in den Bundesländern diesem Handel negativ gegenüber und konnten ein Verbot durchsetzen. Wie das Forschungsprojekt „Lost in Administration herausfand, blieb die Adoption von Schwarzen Kindern in Salzburg, wo aufgrund der Besatzungszone die meisten dieser Kinder auf die Welt kamen, allerdings lange legal. Vorzugsweise Adoptiveltern aus den USA wurden gesucht, da man sie für am geeignetsten hielt. Proxy-Adoptionen, bei denen die Adoptiveltern nicht anwesend sein mussten, waren nicht selten. Die Kinder wurden einfach alleine mit Flugzeugen in die USA geschickt. Die mangelnde Überprüfung führte dazu, dass Kinder mitunter bei in den USA als ungeeignet empfundenen oder mental instabilen Menschen unterkamen. Aber auch die Situationen in vielen österreichischen Pflegeheimen waren prekär.
Das Demokratische Volksblatt berichtet am 20.02.1960:
Acht amerikanische Ehepaare, die die gleiche Hautfarbe hatten, wie die Kinder, sind nun zu glücklichen Eltern geworden. Sie haben die Kinder zu sich genommen und keines von ihnen wird sich je Gedanken machen, warum es allein so braun ist: es hat ja auch eine braune Mutti und einen braunen Vati, also ist da gar nichts Absonderliches. Das Stadtjugendamt Salzburg hatte sich um diese Ehepaare bemüht.
Rassismus macht Schule
Kinder mit österreichischer Mutter und afroamerikanischem Vater waren gleich drei Stigmatisierungen ausgesetzt. Erstens handelte es sich meist um uneheliche Kinder, die den moralischen Vorstellungen der Zeit nicht entsprachen. Zweitens handelte es sich in den Augen der österreichischen Bevölkerung um Besatzungskinder und daher um Nachkommen der Feinde. Für die dritte Stigmatisierung war die Hautfarbe verantwortlich, da Schwarze Menschen in Österreich nach dem Nationalsozialismus auf tief verankertes rassistisches Gedankengut stießen.
Der Beginn der Schule bedeutete für viele dieser Kinder enormen Stress, da sie sich das erste Mal einer größeren Öffentlichkeit aussetzten. Rassistische Äußerungen und Hänseleien der Mitschüler/innen gehörten genauso zum Alltag, wie Lehrende, die im NS-Denken festhangen. Die Schüler/innen mussten teilweise viel mehr leisten und in einigen Fällen wurde es ihnen gar nicht erst erlaubt eine Höhere Schule zu besuchen.
Wer bin ich?
Das Leben geprägt von Rassismuserfahrungen bot eine weitere Herausforderung: die ungewollte Aufmerksamkeit. Ständig wurden die Kinder der GIs angestarrt, da sie sich äußerlich von der Mehrheit der Bevölkerung unterschieden. Die Leute sahen die gekräuselten oder gelockten Haare als Aufforderung ungefragt hinzugreifen. Besonders für die Kinder, die hier in Österreich aufwuchsen, war es schwer Anknüpfungspunkte gegenüber dem eigenen Schwarzsein zu finden. Es gab keine Vorbilder in den Medien und Verwandte, die sie über die Geschichte, die Kultur und den Umgang mit Rassismus informierten, fehlten völlig.
Die positive Bewertung des eigenen Schwarzen Selbstbildes stellte eine zusätzliche Schwierigkeit dar, weil dieser Teil des Selbst ihnen viele negative Erlebnisse einbrachte. Die Hautfarbe war für sie primär ein äußerliches Merkmal und fand sich nicht, wie jenen Kindern, die in die USA adoptiert wurden, in der Kultur wieder. Auch den Kindern, die in den USA aufwuchsen, war das Thema Rassismus nicht fremd, da sie ihn zusätzlich von der Schwarzen Seite erlebten. Sie waren zu Schwarz für die Weißen, aber zu Weiß für die Schwarzen.
Zusammen ist man weniger allein
Dadurch, dass die meisten Kinder afroamerikanischer Väter im Umkreis keine anderen Menschen mit ähnlicher Geschichte vorfanden, wurden viele einsam und schotteten sich ab. Die eigenen Familien versuchten oftmals sie aufgrund der unerwünschten Aufmerksamkeit zu verstecken. Manche wählten den Weg zur Flucht nach vorne und suchten sich Berufe und Hobbys, bei denen sie zwangsläufig unter Menschen mussten – auch politische Ämter wurden besetzt. Der Schritt der Familiengründung war für viele essentiell. Viele suchten dann doch nach ihren Vätern, die einmal mehr einmal weniger auffindbar waren. Auch adoptierte Kinder suchten oftmals nach den leiblichen Eltern in Österreich. Manche der Kinder interessierte sich aber überhaupt nicht für deren Herkunft.
Die Schicksale der einzelnen Personen sind vielfältig, doch egal ob im Familienverband aufgewachsen, in Heime gesteckt oder in den USA ein Neues Leben begonnen, die Geschichten dieser Generation sind geprägt vom Kampf um Normalität in einer Welt, in der sie immer als anders wahrgenommen wurden.

Foto: Sammlung Lost in Administration
Den gesamten Text findest du auch unter: http://freshzine.at/2016/04/19/generation-schwarzweiss-die-kinder-der-gis/
+ ein Zeitzeugeninterview unter http://freshzine.at/2016/06/24/eventtipp-die-farbe-kriegst-du-nicht-weg/